Lange bevor Eriadne, die Göttin des Lichts, und Shirashai, die Göttin der Nacht, zum ersten Mal die Welt erblickten, die heute als Niel’Anor bekannt ist, entschieden Arydnea, die Mutter der Götter und ihr Gatte, Berenëus, eine Welt für ihre beiden Töchter zu erschaffen, über die sie herrschen sollten. Doch obgleich ihre Macht schier unendlich war, wollte es ihnen nicht gelingen, eine Welt nach ihren Vorstellungen zu erschaffen, auf der das Leben erblühen konnte.
Also riefen die Urgötter nach der Macht der Sterngeborenen, die auf ihren Befehl hin mit ihrem feurigen Schweif vom Himmel herabstießen. Und als sie auf die leere, leblose Kugel trafen, die Niel’Anor sein sollte, verwandelten sie sich in glühende Lichtgestalten und ihre Energie ließ den Boden erwartungsvoll summen und erbeben.
Die Sterngeborenen verwurzelten sich in der öden Kugel und brachten ihr die vier Elemente, die zu ihrer Erweckung notwendig waren. Ganya, die Mutter der Erde, erschuf die Landmassen, die Pflanzen und die Tierwelt. Ihr Geliebter, Thyrastor, brachte das Feuer, das die Bewohner dieser Welt wärmen und sie mit Leben erfüllen sollte. Nereia erschuf Meere und Seen, Flüsse und Quellen, die Ganyas Werk am Leben hielten und Vinyar brachte den Hauch des Lebens mit sich, den Wind, der Niel’Anor aufseufzen ließ.
Zufrieden betrachteten sich die riesenhaften Sterngeborenen ihr Werk, nachdem sie es vollendet hatten. Auch Arydnea und Berenëus blickten hinab auf Niel’Anor und sie erweckten die schlafende, erstarrte Schöpfung der Sternengeborenen mit der Gabe der Zeit zum Leben, gaben ihr jedoch auch den Tod, der sich mit dem Leben zu einem natürlichen Kreislauf vereinte und alles im Gleichgewicht hielt.
Als auch dieses Werk vollbracht war, teilten die Sterngeborenen die Welt in vier Teile auf, die von nun an unter ihrem Schutz standen. Riesenhafte Höhlen bildeten sich unter den Landmassen und erschufen ein eigenes Reich, in das sich die Sterngeborenen zurückzogen, um darin zu ruhen, bis sie wieder gebraucht würden. Erst, wenn die Welt in einer ernsten Gefahr schweben würde, würden sie wieder erwachen und unter dem freien Himmel wandeln, um ihre Schöpfung vor dem Untergang zu bewahren.
So zog sich Nereia tief in ihr Reich unter der Landmasse, die den Namen Ashar’vian tragen würde, zurück und begab sich dort zur Ruhe. Vinyar betrat seine Höhle unter dem Kontinent Norvandor und fiel dort in tiefen Schlaf. Nur Ganya, die unter Erianor ruhen sollte und Thyrastor, dessen Reich sich unter dem künftigen Basharban erstreckte, konnten nicht voneinander lassen. Und so erschufen sie eine Verbindung zwischen ihren Kontinenten, die es ihnen erlaubte, gemeinsam in den Schlaf zu sinken.
Nachdem alle Sterngeborenen das Antlitz der Welt verlassen hatten, verschlossen Arydnea und Berenëus ihre Höhlen mit einem Sigel, auf das niemand zu ihnen dringen und ihre Ruhe stören würde. Danach war endlich die Zeit gekommen, ihren Kindern die Welt zu zeigen, die ihnen fortan Untertan sein sollte.
So betraten Eriadne und ihre Zwillingsschwester Shirashai Niel’Anor, und als ihre Füße zum ersten Mal den Boden berührten, erwachten der Tag und die Nacht, die Sonne und der Mond zum Leben und machten die Welt vollkommen.
Doch auch die Sterngeborenen hatten der Niel’Anor ein Geschenk hinterlassen, bevor sie sich zurückgezogen hatten. Und so wandelten auch ihre Kinder, die Götter der Elemente, Kireala, Narion, Alaria und Selurian über die Welt und übernahmen die Regentschaft über das Werk ihrer Eltern und das Leben, das sich darin entwickelt hatte. Auch Arydnea und Berenëus zogen sich nun, da sie die Welt in die Hände ihrer Töchter gegeben hatten, zurück und überließen es ihnen, sie nach ihren Vorstellungen und Wünschen zu formen.
Doch die Energie, die bei der Geburt der Götter freigesetzt worden war, erschuf noch andere Wesen, die Niel’Anor fortan mit ihrer Magie erfüllen sollten. Und so schwebten sternengleiche, leuchtende Kugeln auf das Land herab, aus denen sanfte Lichtstrahlen drangen. Es waren kleine Geschöpfe, die einen Teil der Macht der Götter in sich trugen und die die Quelle der Macht, die Niel’Anor umgab, berühren konnten. Lange Zeit kannte man keinen Namen für diese Kreaturen und man bezeichnete sie als Funken, die von den Göttern berührt worden seien. Später nannte man sie Elementgeister, die über die Magie der Elemente geboten.
Die Götter der Elemente und der Zeit betrachteten diese Wesen zuerst mit Argwohn, bestanden sie doch aus einem Teil ihrer eigenen Macht und konnten diese auch gebrauchen. Doch die Geister waren den Göttern untertan und bald zeigte sich, dass sie auch den Kindern der Götter Zuneigung entgegenbrachten und mit ihnen auf eine Art und Weise verbunden waren, die den Funken der göttlichen Macht auch in ihnen erwecken konnten.
So entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte eine Synergie zwischen den Wesen, die Niel’Anor bewohnten und den Elementgeistern, die sich ihnen anschlossen. Ein Austausch der Macht fand zwischen ihnen statt, der einerseits die Geister stärker werden ließ und andererseits den Kindern der Götter gestattete, auf die Quelle dieser Macht zuzugreifen. So wuchsen sie gemeinsam heran, lernten und erschufen die Wunder dieser Welt unter den wohlwollenden Augen der Götter, die sie geschaffen hatten.
Derweil schliefen die Sterngeborenen in ihrem Reich und sorgten mit ihren Träumen dafür, dass das Leben in ihrer Welt blühte. Wunder gingen aus diesen Träumen hervor, wenn sie angenehm waren und Schreckgestalten wurden geboren, wenn sie unter Albträumen litten.
Nur ein einziges Mal erwachten die Sterngeborenen und die Urgötter aus ihren Träumen und wandelten erneut über die Welt, als das Tun von Shirashai und Narion Niel’Anor erschütterte und die Welt der Götter in Aufruhr brachte. Und mit Schrecken erinnert man sich an diese Zeit der Umwälzung, in der ein Teil der Welt in Schutt und Asche lag und sich Beleriar aus den vier Kontinenten herausbildete, um sich vom Festland abzuspalten. Doch dies ist eine andere Geschichte und sie soll an einer anderen Stelle erzählt werden.
Noch heute entspricht dieser Schöpfungsmythos dem, was die Bewohner der vier Kontinente gemeinhin von der Entstehung ihres Lebensraumes wissen. Allerdings hat sich nach dem Untergang Beleriars der Glaube eingebürgert, dass es die Sterngeborenen sind, die die Landmassen über dem Wasser halten und dafür sorgen, dass sie nicht untergehen können. Da Beleriar keinen Sterngeborenen zu seinem Schutz besaß, versank die Insel durch den Zorn der Götter in den Wellen des Sternenmeeres.
Sicherlich hat der Mythos um die Erschaffung der Welt auch dazu geführt, dass einige Abenteuerlustige auf die Suche nach den Höhlen der Sterngeborenen und dem Reich der Urgötter gegangen sind. Doch gefunden hat sie bis zum heutigen Tage niemand.