Es war wohl irgendwann im Jahre 2001, als ich auf eine (möglicherweise) amerikanische Rollenspielseite stieß. Es mag dort wohl kaum eine richtige Welt gegeben haben und der Name war einem eher weltlichen Begriff entwendet, aber das Konzept gefiel mir, denn man konnte über den integrierten Chat in allen möglichen Weltteilen spielen, die entsprechend aufgeteilt waren. So etwas musste doch auch mit einem Forum gehen, viel besser sogar, dachte ich mir, die damals recht aktiv im Forum von Amigo Spiele war und dort den „Alten Schädel“ regelmäßig mit Postings verunzierte.
Ich hatte vorher schon ein wenig damit begonnen, eine Welt zu basteln. Ihr Name war Shi’raia und tatsächlich war sie mehr oder weniger von AD&D inspiriert und ziemlich, nun ja, elfenverseucht. Alles in allem war ich damit wohl nicht ehrgeizig genug, denn ziemlich schnell entstand das Konzept für das Sternenmeer in meinem Kopf – eine Stadt, die in einem Götterkrieg unter Wasser gelandet war und nun dort unter einer Kuppel existierte. Ziemlich schnell waren die ersten Texte zu Papier gebracht. Kaum sonderlich gut oder lang, aber sie reichten aus, um einen ersten Eindruck zu vermitteln.
Zugegebenermaßen war das alles damals nicht gerade ausgereift. Es gab die Stadt und ein klein wenig Insel um sie herum. Eine wahnsinnig tolle Idee – denn die arme Stadt konnte sich ja nun kaum selbst versorgen.
Trotzdem blieb Nir’alenar für lange Zeit auf diese Art und Weise bestehen. Als Bastelprojekt, an dem jeder mitschreiben können sollte. Tatsächlich gab es schnell einige Interessenten aus dem Amigoforum. Denn Nir’alenar basierte schließlich und endlich erst einmal auf D&D, was in so mancher Hinsicht keine sonderlich gute Idee war. Denn so hatten wir nun eine wahnsinnig originelle Standard-Fantasywelt unter dem Meer.
Wie so oft ergab sich damit noch ein anderer Effekt. Viele Köche verderben den Brei und schon bald war jeder der Meinung, seine eigenen Ideen durchsetzen zu müssen. Stress, Streitereien und eine nicht sonderlich logische Welt waren die Folge von all dem und mein Nir’alenar mutierte zu einem sehr seltsamen Gebilde, in dem es praktisch nur Fischprodukte und Meeresersatzprodukte zu essen gab und in dem bald einige Leute mit Argusaugen darüber wachten, was andere in ihren Rollenspielpostings schrieben, um diese dann bei einem Fehlerchen zurechtzustutzen. Sogar an einen dämlichen Streit um eine Flasche Pflaumenwein erinnere ich mich – alles in allem war dies also eine nicht eben erfreuliche Situation.
Es kam, wie es kommen musste. Es knallte immer wieder heftig und die Seite litt darunter. Zudem befand sie sich auch mit in der Hand einer Person, der man niemals Macht über andere geben sollte und die diese dazu nutzte, überall Unfrieden zu stiften. Kurzum, die Situation wurde von Tag zu Tag unerträglicher.
Trotzdem begann ich damit, die Welt auszubauen. Die Insel Beleriar entstand und wurde nun von weitaus mehr Wesen bevölkert, die nicht mehr ganz und gar dem D&D Universum entsprangen, denn ich wollte nach und nach die ganzen D&D Einflüsse aus meiner Welt entfernen und sie zu etwas Eigenem machen. Zu Beginn der ganzen Angelegenheit hatte es zudem noch Ärger mit Amigo Spiele gegeben, die Fanprojekten nicht sehr offen gegenüberstanden. Trotz der offenen D20 Lizenz und der Tatsache, dass es ja nun gar keine Regelauszüge auf der Homepage gab, sondern intern nur das Regelsystem zum Spiel im Forum herangezogen werden sollte.
Das Sternenmeer erlebte in dieser Zeit – es muss zwischen 2002 und 2003 gewesen sein – einen ziemlich starken Aufschwung und das Forum lief nun schon auf der dritten Forensoftware. Diejenigen, die zu Beginn die anderen eingeschränkt und getreten hatten, hatten nach und nach die Seite verlassen und das Forenleben blühte auf. Noch immer gibt es einige, die sich mit feuchten Augen an diese Zeit erinnern, in der durchaus manchmal 600 Postings pro Tag im Forum geschrieben worden sind.
Aber ganz ähnlich wie Nir’alenar, war auch die Sternenmeer Homepage zum Untergang verurteilt. Erneut kam es zu einem größeren Streit und viele User verließen eingeschüchtert oder verärgert das Forum. Wieder kamen andere daher, die der Ansicht waren, es sei nötig das Forum anders zu gestalten, um es wieder flott zu machen und die die Meinung vertraten, ihre Einmischung sei dazu zwingend notwenig. Und diesmal war eine Person darunter, die es nach dem großen Knall tatsächlich schaffte, die User abzuwerben und auf seine eigene Seite zu ziehen. Ich selbst wusste damals nichts davon – mir war es schon genug, dass besagter User keine Ruhe gab und auch nach seiner Sperrung das Gästebuch mit hässlichen Kommentaren verzieren musste. Allerdings kam seine Helferin nach Monaten auf mich zu und erzählte mir die ganze Geschichte, denn er hatte auch sie letztlich nur ausgenutzt. Zu dumm allerdings, dass der Schaden damals schon angerichtet war, denn sie gestand mir, andere User gegen das Sternenmeer aufgehetzt zu haben.
Schon vorher war ich kurz davor aufzugeben, weil der interne Stress Überhand genommen hatte. Ich war sogar nahe dran, die Welt freiwillig in die Hände zu geben, die am Ende auch versucht haben, sie mir wegzunehmen.
Aber stattdessen gab es erstmal einen Neustart – in einem neuen Forum, in dem es keine Altlasten mehr geben sollte. Für eine Weile ging das gut. Ich begann 2003 damit, das Sternenmeer Rollenspiel zu schreiben und fügte eine Oberwelt hinzu, um Niel’Anor endlich komplett zu machen. Doch der große Bruch, der sich schon seit Beginn abzeichnete, ließ nicht mehr lange auf sich warten.
Denn als ich im Januar 2004 meine damalige Beziehung beendete, war mein Ex-Freund alles andere als fair, was ich eigentlich hätte wissen müssen. Hässliche Szenen folgten der Trennung und natürlich dachte er gar nicht daran, mir meine Welt zu überlassen. Nein, flugs war der Copyrightvermerk auf der Homepage abgeändert und er drohte mit Klagen, falls ich die Welt noch einmal irgendwo veröffentlichen sollte. Denn schließlich, so sagte er, habe er den Webspace bezahlt und deswegen seien meine Texte und das ganze Sternenmeer auch sein Eigentum.
Natürlich hatte ich seine Textbeiträge sofort aus der Welt entfernt. Es waren nicht gerade viele und ich verzichtete liebend gerne darauf, da ich sie ohnehin für meine Welt als unpassend empfand. Der Rest fand den Weg auf den neuen Webspace. Schließlich war alles darauf mein Eigentum und ich hatte jede Grafik, jede HTML-Seite, jeden Text darauf selbst verfasst. Auch aus dem Forum hatte ich all seine Postings entfernt. Doch das reichte ihm nicht. Die Drohungen nahmen kein Ende und ich ließ mich – uninformiert und dumm – einschüchtern.
Also löschte ich das Sternenmeer und wollte mir etwas Neues aufbauen. Schließlich war ich diejenige gewesen, die die Welten gebaut und die Seiten erstellt und gepflegt hatte, also konnte ich auch etwas Neues aufziehen, was er schließlich nicht leisten konnte. Das passende Setting fand ich in einem Roman, den ich kurz zuvor zu Ende geschrieben hatte und für eine Weile nahm die neue Welt den Platz des Sternenmeers ein.
Aber der Verlust einer Welt, in die ich immerhin zu dieser Zeit schon 3 Jahre gesteckt hatte, saß tief. Also machte ich mich daran, das Sternenmeer neu aufzubauen und eine neue Homepage zu basteln. Tatsächlich waren die übrig gebliebenen User begeistert und das Forum begann, noch einmal zu leben. Aber es war mir nicht möglich, volle Kraft in die zu dieser Zeit drei existierenden Foren zu stecken, also wurde das Forum bald wieder still und blieb schließlich verlassen zurück.
Trotzdem blieben einige Leute, die am Sternenmeer festhielten. Für diese gab es noch einmal einen Versuch, die Angelegenheit mit Leben zu erfüllen und administrierbar zu machen, indem das Sternenmeer mit dem Phantásia Forum zu einem verknüpft wurde. Auch dieser Versuch war jedoch nach einem enthusiastischen Beginn von wenig Erfolg gekrönt und langsam machte sich der Gedanke breit, die ganze Angelegenheit wirklich aus dem Internet zu nehmen und nur noch zuhause für die Rollenspielrunden zu gebrauchen.
Die Inhalte auf der Homepage waren inzwischen natürlich veraltet, ebenso wie die ganze Homepage an sich. Das Gästebuch war von einer Spamflut heimgesucht worden, die man leider nicht mehr entfernen konnte, nachdem es bei dem letzten Providerwechsel einen Schlag bekommen hatte und alles in allem lag das Sternenmeer einsam und verlassen in Trümmern.
Aber wieder kam alles anders, als ich 2006 schließlich eine schicksalshafte Mail bekam. Die Reste meiner beiden alten Rollenspielgruppen hatten sich zusammengefunden und waren auf der Suche nach einem passenden Spielleiter. Und natürlich ließ ich mich bei einer solch erfreulichen Zusammenführung nicht lange bitten. Da ich nun böse aus der Übung war, schlug ich anstatt eines kommerziellen Systems das Sternenmeer als Spielsetting vor, weil ich mich darin besser zurechtfinden würde. Siehe da, nun war die Zeit gekommen, das Regelsystem und die Welt endgültig zu überarbeiten.
Wie es eben immer so ist, kommt man beim Schreiben einer Sache wieder näher und so war es auch diesmal. Endlich konnte ich Szenen aus dieser Welt verbildern und begann, mich in meiner Welt heimisch zu fühlen. Es entstand eine Karte der Insel, neue Völker tauchten auf der Welt auf, neue Orte wurden entdeckt und alles bekam ein für mich vollkommen neues, aufregendes Gesicht. Letztlich wurde aus der Mischung aus alten, vertrauten Elementen und Neuentdeckungen die Welt, die sie eigentlich immer hatte sein sollen. Fernab von D&D, AD&D und anderen Einflüssen, die sie mir eigentlich nur entfremdet hatten.
Der nächste, logische Schritt war eine neue Homepage, um das Sternenmeer in seiner momentanen Form lesbar zu machen und das Regelsystem und all die anderen Materialien neu zugänglich zu machen. Natürlich gehörte dazu auch das Forum. Marko (der schließlich der größte Sternenmeer Fan aller Zeiten ist) und ich haben uns lange darüber unterhalten, was daraus werden sollte und schließlich beschlossen, dass das zusammengeführte Forum wieder zu einem einzigen werden sollte. Dem Sternenmeer Forum, dem wir nun endlich die Zeit widmen wollten, die ihm schon lange zustand. Anders als ich hatte Marko die Welt nie aus den Augen verloren – viel mehr als alle anderen hatte er schon immer einen großen Anteil daran, denn er hat sie lebendig gemacht und wohl als einer der wenigen, die mitreden wollten, hat er auch verstanden, wie man das Flair dieser Welt bewahrt und richtig darstellt.
Auch die nächsten Jahre waren nicht immer von Friede, Freude, Eierkuchen gekrönt, auch wenn die wilden Zeiten vorüber waren. Über die Jahre entstanden immer wieder neue Dinge. Das größte Projekt war wohl das Buch der Völker, das ab 2008 vier Jahre in Anspruch genommen hat, um geschrieben zu werden. Heute ist es das Herzstück des Sternenmeer Rollenspiels und nimmt die Hälfte des Regelbuchs ein.
Als diese Hürde endlich genommen war, war der Traum vom fertigen Sternenmeer Rollenspiel, von diesem Buch, das in so weiter Ferne war, endlich in greifbare Nähe gerückt. Das Regelsystem wurde überarbeitet und in eine finale Form gebracht. Und 2013 war der große Augenblick gekommen und es konnte zum Drucken gegeben werden.
Nun steuert das Sternenmeer in eine ganz andere Zeit. In seine Zeit als echtes Pen & Paper Rollenspiel, das nicht mehr nur allein auf ein Forum beschränkt werden muss. Es gibt noch viel zu tun. Ein Weltbuch steht auf dem Programm und soll das Grundregelwerk ergänzen. Und wohin es danach gehen mag, ist ungewiss.
Fest steht, dass wohl wenige Projekte über einen solch langen Zeitraum auf eine so treue Anhängerschaft zurückblicken können und dass die Geschichte des Sternenmeers noch lange nicht an ihrem Ende angelangt ist.