Einst im Herzen Niel’Anors zwischen den Kontinenten dieser Welt zu finden, ruht Beleriar heute von Eriadnes Kuppel geschützt inmitten des Sternenmeers.
Ein wenig erinnert sie an eine Schneekugel, die man auf den Meeresboden gesetzt hat und in der es eine ganze Insel zu bestaunen gibt. Städte mit ihren hohen Türmen und belebten Straßen, verschlafene kleine Dörfer, tiefe, dunkle Wälder und saphirblaue Seen. Berge und Hügel, Flüsse und geheimnisvolle Orte, die ihrer Entdeckung harren.
Beleriar ist keine kleine Insel. Vom Norden bis in den Süden misst sie ca. 1000 km in der Länge und 800 km in der Breite von Westen nach Osten. Eine Fläche, die von um die 10 Millionen Wesen aller Völker bewohnt wird.
Märchenhaft mutet es an, wenn man Beleriar aus der Ferne betrachtet, seltsam, wenn man von der Insel nach draußen blickt und keinen blauen Himmel findet, keine Vögel, die durch die Lüfte segeln, sondern nur die endlos wirkende Weite des Ozeans, bunte Fische, an den Kuppelgrenzen so nah, dass man sie beinahe berühren kann, ohne sie jemals zu erreichen.
Ein Lichtkegel erhellt die Kuppel und ihre nähere Umgebung, transportiert das Licht des Tages über Niel’Anor auf den Meeresboden, um Leben zu spenden, Wärme zu geben, die dem Meeresboden fehlt, um den Bewohnern der Insel ihre Existenz zu ermöglichen.
Die Kuppel
Die Kuppel, die Beleriar vor den Wassermassen des Sternenmeeres schützt, erhebt sich an ihrem höchsten Punkt 3000 m in die Höhe, fällt jedoch zu ihren Seiten ab. Rund um die Insel lässt sie einige Kilometer frei, die noch heute von Wasser umgeben werden, also einen erreichbaren Teil des Meeres darstellen. An manchen Häfen der Hafenstädte Beleriars ist die Kuppel so nah, dass man sie berühren kann, wenn man in das seichte Wasser hinein watet. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein leichtes, elektrisierendes Prickeln, das dann die Haut durchströmt, eine Art Summen, das unhörbar ist.
Weich fühlt sie sich an, sogar in Maßen dehnbar, trotzdem fest, wenn man sie zu stark bewegen möchte, elastisch, doch gleichermaßen starr und unnachgiebig.
Die Kuppel besitzt keine eigene Farbe. Sie ist klar wie Glas, beinahe unsichtbar, wenn man das Auge nicht anstrengt und genau hinsieht.
Doch obgleich sie zerbrechlich wirken mag in der Feinheit ihres stofflichen Daseins, so ist sie unzerstörbar. Eine Erschütterung mag sie durchlaufen, wenn etwas Schweres auf sie niederprallt, ein Zittern ihrer Materie, doch nachgeben wird sie nicht.
Weder Magie noch Stahl vermögen es, ihre Haut zu durchdringen, weder Feuer noch Stein können sie verletzen und dem Schutz etwas anhaben, den sie Beleriar und seinem Leben schenkt.
Es gibt vielerlei philosophische Ansätze, um das Wesen der Kuppel zu ergründen. Sie ist reine göttliche Macht, die keiner Logik zu unterliegen scheint. Undurchdringlich für das Meer, undurchdringlich für die Wesen und ihre Nachkommen, die mit Beleriar untergegangen sind.
Wer innerhalb ihrer Grenzen geboren ist, kann sie nicht verlassen, prallt von einer unsichtbaren Macht ab, die niemanden entkommen lässt.
Und doch kann man sie von außen überwinden. Wer außerhalb der Kuppel geboren ist, kann in ihr Inneres gelangen und sie wieder verlassen. Es gibt Zugänge, unterirdisch von Meer aus zu erreichen, die Einlass in das Reich Beleriar gewähren, Portale, die hinab führen, aber nicht wieder hinaus. Selten sind sie als solche zu erkennen und wer ein solches Portal durchquert, weiß meistens nicht, wohin er gelangt.
Warum es diese gibt, weiß man nicht. Viele sind nicht permanent, tauchen auf und vergehen wieder, ohne dass man einen Grund dafür erkennen kann. Es gibt eine Theorie, dass diese Portale von mächtigen Magiern erschaffen werden, die einen Weg suchen, um Beleriar zu verlassen, aber dann nicht in der Lage sind, Eriadnes Fluch zu überwinden.
So bleiben sie also offen und warten darauf, bis ein Wesen durch sie hindurch tritt, um dann wieder zu verschwinden.
Permanente Portale mögen aus anderen Gründen existieren. Sie werden jedoch im Allgemeinen gut bewacht und stets von den gleichen Wesen genutzt, stellen einen geheimen Zugang zu Beleriar dar, der jedoch nicht als Fluchtweg dienen kann.
Hier mögen geschäftliche Interessen beteiligt sein, möglicherweise auch dunklere Beweggründe, da Beleriar für den gewöhnlichen Bewohner Niel’Anors weder mühelos zu lokalisieren noch zu erreichen ist.
Für kurzlebige Völker ist Beleriar kaum mehr als ein Märchen, eine Legende, deren Existenz nicht bewiesen werden kann. Es ist nicht möglich, den beinahe unendlich wirkenden Meeresboden einfach zu erforschen und die Insel zu entdecken. Und auch wer lange genug lebt, um sich noch an das Beleriar über den Wellen zu erinnern, muss nicht zwingend davon überzeugt sein, dass die Insel unter dem Meer weiterhin existiert. Würde jemand, der die Insel gesehen hat und ihr auf irgendeine Weise entkommen ist, auf Niel’Anor davon erzählen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass man ihn für verrückt halten würde.
Das Wetter
Die Frage, ob unter der Kuppel Wetter existiert, drängt sich ohne Zweifel auf, sobald man sich ein wenig genauer mit ihr befasst. Und tatsächlich existiert ein Äquivalent zu den natürlichen Wetterverhältnissen auf Niel’Anor, wenngleich es deutlich gemäßigter ausfällt.
Die Bevölkerung Beleriars sollte weiterhin existieren, das war Eriadnes Absicht, als sie die Insel unter das Meer sank. Sie sollte für ihre Verfehlungen bestraft werden, aber nicht den Tod erleiden – also musste sie in der Lage sein, sich weiterhin zu ernähren.
Der Handel mit den Meeresvölkern schafft sicherlich eine Grundlage, kann aber keineswegs die komplette Versorgung gewährleisten. Und wenngleich Fisch und Meeresfrüchte, Algen und ähnliche Erzeugnisse des Ozeans einen großen Teil des Speiseplanes ausmachen mögen, so ist dennoch keine Existenz ohne eigenen Ackerbau und Viehzucht möglich.
Das Bündnis, das Eriadne mit den anderen Göttern geschlossen hat, ermöglicht also ein relativ normales Leben in einer ungewöhnlichen Umwelt.
Selurians Winde fegen über Kirealas Erdboden, der durch den Lichtkegel erhellt und erwärmt wird. Es gibt keine direkte Sonne, nur ihre auf magischem Wege verstärkten Strahlen, die durch das Meereswasser dringen und Beleriar erhellen.
Das Sonnenlicht ist schwächer, es entwickelt nicht die alte Kraft, die man auf Beleriar einst genossen hat. Es ist nicht gleichermaßen hell und strahlend, ein wenig bläulich und gedämpft. Trotzdem ist es ausreichend, um ein gemäßigtes Klima zu ermöglichen. Die Sommerzeit ist nicht mehr so heiß, wie man es einstmals gewohnt war, aber warm genug, um die Bewohner in den wärmsten Monaten zum Schwitzen zu bringen.
Wahrscheinlich kann man das Wetter auf Beleriar als ein geschwächtes Abbild des wirklichen Wetters beschreiben. Es gibt Regen, es gibt Schnee, es gibt gelegentliche Stürme, die jedoch eher durch magische Turbulenzen ausgelöst werden, die das künstlich erzeugte Wetter mit sich bringt.
Das Wetter auf Beleriar neigt dazu, verrückt zu spielen, wenn irgendetwas den Fluss der Magie stört. Schneestürme im Sommer können eine Folge davon sein, plötzliche starke Gewitter oder ein zu heißer Tag mitten im Winter, der den Schnee zum Schmelzen bringt.
Es bedarf keiner echten Wolken um zu regnen. Tatsächlich erkennt man schlechtes Wetter kaum, da der Blick in den Himmel fehlt. Ein kühlerer Tag, etwas weniger Licht, das weniger warm wirkt, mehr Wind, das sind die einzigen Anzeichen, bevor die Tropfen von der Kuppel herabfallen, scheinbar aus dem Nichts.
Entsprechend hat man einige Mühen auf sich genommen, um das Wetter zu bestimmen, das Beleriar am nächsten Tag erwarten wird. Selurianpriester betätigen sich oftmals als eine Art Wetterorakel, ein Spektakel, das man in Städten und auf Dorfplätzen jeden Tag einmal beobachten kann. Magier arbeiten an Gerätschaften, die einen Blick auf die zu erwartenden Verhältnisse ermöglichen und insbesondere die erfindungsfreudigen Gnome testen allerlei Wege, um sowohl Turbulenzen als auch andere Veränderungen vorherzusagen.
Ein Ergebnis davon ist der Turbulenzenmesser. Ein monströses Gerät, das den Fluss der Magie und etwaige Störungen messen soll und das im Philosophenviertel von Nir’alenar bestaunt werden kann.
Tag und Nacht
Im Gegensatz zum Wetter ist der Ablauf von Tag und Nacht auf Beleriar relativ gleich geblieben. Zwar gibt es weder Himmel noch Himmelskörper zu sehen, keine Sonne, keinen Mond, keine Sterne, trotzdem schwindet das Licht in den Abendstunden, um sich am Morgen wieder zu verstärken.
Um das schwächere Licht auszugleichen, findet man in vielen Städten Beleriars die magischen Muschellampen, die bei Tag und bei Nacht ihr Licht geben, am Tag die Helligkeit verstärken und in der Nacht die Dunkelheit aus den Gassen vertreiben.
Die ländliche Bevölkerung behilft sich mit gewöhnlicheren Mitteln – Lampen, die einen warmen Schein verströmen und den gleichen Zweck erfüllen, während man in den Wäldern Zuschauer eines besonderen Schauspiels werden kann. Hier findet man die sogenannten Leuchtkugeln – weder magisch noch von Feuer erleuchtet, sind es tatsächlich Lebewesen, überdimensionierte Glühwürmchen, die ihre Umgebung erhellen. Ihr Ursprung ist ungewiss – eine magisch gestützte Kreuzung mehrerer Insekten ist wahrscheinlich, wenn man dies auch nicht beweisen kann.
Das Fehlen von sichtbaren Himmelskörpern hat natürlich die Ausübung der Astrologie ein wenig erschwert. Der offene Blick in den Nachthimmel bleibt verwehrt, weswegen man sich der wenigen Möglichkeiten bedienen muss, die geblieben sind. So sind sowohl der Eriadne Tempel in Nir’alenar als auch der Mondsee beliebte Anlaufstellen für diejenigen, die mit den Sternen arbeiten und es gibt noch weitere Stätten auf Beleriar, die eine solche Aussicht ermöglichen.
Reisen auf Beleriar
Eine Insel von der Größe Beleriars ist nicht einfach zu bereisen. Würde man zu Fuß von ihrem südlichsten Punkt nach Windburg reisen, das im hohen Norden liegt, wäre man wochenlang unterwegs und könnte durchaus mit einigen Gefahren rechnen.
Deswegen greift, wer es sich leisten kann, lieber auf die Kutschenlinien zurück, die in regelmäßigen Abständen die großen Städte verlassen und Reisende an ihr Ziel bringen. Auch dies ist nicht unbedingt der sicherste Reiseweg, doch er ist weniger beschwerlich und schneller als eine Wanderung zu Fuß.
Kutschen sind allerdings ein beliebtes Angriffsziel für Wegelagerer. Das Reisegepäck ist verführerisch für Diebe und die Kutschen zumeist nicht sonderlich gut bewacht, so dass es keine Schwierigkeiten verursacht, die Wertsachen zu entwenden.
Das Geschäft mit dem Transport ist hart umkämpft. Es ist lukrativ, Reisende zu transportieren und die Konkurrenz zwischen den Kutschentransportunternehmen ist groß und schreckt auch vor unlauteren Mitteln nicht zurück. Sabotage und Bestechung sind dabei nur zwei der Möglichkeiten, einen Konkurrenten unschädlich zu machen.
Ein anderes Bild zeigt sich bei der wohl schnellsten Art zu reisen – der Luftschifffahrt, die fest in der Hand einer einzigen Windvolkfamilie liegt. Die Schiffe der Familie Zarandar sind auf den Passagiertransport spezialisiert und wer bisher den Versuch unternommen hat, einen Fuß in ihren Geschäftsbereich zu setzen, konnte entweder keine Erfolge aufweisen oder verschwand in atemberaubender Geschwindigkeit spurlos von der Bildfläche.
Die meisten großen Städte Beleriars verfügen über eine Anlegestelle, die den Wolkenschiffen der Zarandar vorbehalten ist und von denen aus sich die großen Gefährte mit Passagieren beladen in die Lüfte erheben.
Allerdings ist eine Wolkenschiffreise durchaus kostspielig. Man findet kaum einen armen Bauern an Bord eines Wolkenschiffes. Es ist eher ein Treffpunkt all jener, die über die entsprechenden Mittel verfügen, die einen solchen Luxus ermöglichen und diese bleiben bekanntlich lieber unter Ihresgleichen.
Die Regierung
Man unterteilt Beleriar in acht Grafschaften, die wiederum in kleinere Baronien aufgespalten sind. Sie unterstehen zumindest offiziell dem Fürsten von Nir’alenar und werden in seinem Namen von seinen Vertretern verwaltet. Die Wirklichkeit sieht jedoch ein wenig anders aus – Königreiche wie Ni’farea oder das Reich der Tua’Tanai unter Königin Sheelai Sommerwind mögen sich kooperativ verhalten, erkennen Aranil Falkenauge jedoch nicht als Fürsten an. Auch das Zwergenreich Azad Karûn wird im Zweifelsfall nicht dem Fürsten sondern seinem König gehorchen, wenngleich dieser es für den Augenblick für klüger hält, die Interessen seines Volkes im Rat der Weisen zu vertreten. Und zuletzt ist es das Reich Syranas im Norden, das sich der Herrschaft des Fürsten vollkommen verweigert.
Wo sich eines der Völker Niel’Anors unter seinesgleichen versammelt, wird zumeist kein großer Wert auf eine geltende Herrschaftsstruktur gelegt – eine Tatsache, die von Nir’alenar geduldet wird, solange es mit friedlichen Absichten einhergeht. Schließlich existieren einige dieser kleineren Reiche deutlich länger auf der Insel als die Stadt selbst. Es ist schwierig, den Wesen, die Beleriar seit Urzeiten bewohnen, eine Regierung aufzudiktieren. Dies mag manchen nicht gefallen, eine andere Handlungsweise widerspräche jedoch dem Geist der Stadtväter.
Eine weitaus größere Gefahr sind wohl jene, die zu den treuen Untertanen des Fürsten gehören, aber gleichzeitig nach Machtgewinn und Reichtum dürsten. Intrigen sind an den Höfen Beleriars an der Tagesordnung und so mancher sägt nur zu gerne am Thron des Fürsten, um ihn vielleicht eines Tages selbst zu besetzen.
Die Falkenauges mögen zu den ältesten Adelsfamilien der Insel gehören, doch so mancher neidet ihnen die Sonderstellung, die ihnen aufgrund einer Heldentat aus den Reihen ihrer Familie zuteil wird.
So gefällt es vielen Elfen nicht, von einem Kurzlebigen regiert zu werden und der menschliche Adel ist kaum besser, vielleicht sogar von noch stärkerem Neid erfüllt, sicherlich von größerer Ambition.
Schattenfürst, so nennt man Aranil Falkenauge in hohen Kreisen hinter seinem Rücken. Eine Marionette, die ihr Haupt vor der weißen Hexe neigt.
Und tatsächlich weiß jeder, dass es im Grunde Eleria Anuriel ist, die die Macht über Beleriar besitzt und keiner würde es wagen, ihre Herrschaft anzuzweifeln, wenngleich sie sich mit der beratenden Position im Rat der Weisen begnügt und bisher keinen Gebrauch von ihrer Stellung gemacht hat.
Der Rat der Weisen ist schließlich jenes Organ, das Sorge dafür trägt, dass die Interessen aller Wesen Beleriars gewahrt bleiben und der Fürst kann nicht einfach gegen den Rat jener Individuen entscheiden, wenn sie zu einer Einigung gelangt sind, obgleich dies oftmals ein schwieriger Prozess sein mag.
Der Rat sorgt für ein Gleichgewicht, das allen Wesen zum Vorteil gereichen soll. Nicht immer ist dieses Gleichgewicht einfach zu erlangen und seine Findung bedarf oft lautstarker Diskussionen und vieler Kompromisse von allen Beteiligten. Trotzdem genießt er das Vertrauen des Volkes, das sich in Streitfällen an ihn wendet, um eine Entscheidung herbeizuführen. Der Rat ist also gleichsam Berater des Fürsten wie auch das Gericht von Nir‘alenar.