So wie Beleriar einst der Mittelpunkt Niel‘Anors war, so ist das Sternenmeer das Zentrum jener Welt unter den Wellen des Ozeans, die von den Völkern des Meeres besiedelt wird.
Es ist ein angenehmer Lebensraum. Das Wasser besitzt eine gefällige Temperatur und der Meeresboden ist fruchtbar und wird von einer vielfältigen Tierwelt bewohnt. Dies hat die Bewohner des Meeres an diesen Platz gezogen, der die großen Königreiche beherbergt, die sie über Jahrhunderte errichtet haben.
Ihr Anblick ist atemberaubend. Gewaltige Städte und kleinere Siedlungen des Meeresvolkes erheben sich inmitten der von Korallen bewachsenen Hügel. Versunkene Reiche der Oberwelt ruhen zwischen belebten Flecken und zeigen den schwachen Abglanz ihrer früheren Pracht. Nur ein Schatten ist von ihnen geblieben, eine Erinnerung an verlorene, fremdartige Kulturen und ihre unergründlichen Geheimnisse, die nun im ewigen Blau verschollen sind. Ihr Wissen ist jetzt unerreichbar. Ihre Schätze mögen sich jedoch noch immer in den Ruinen verbergen, vielleicht auch ein namenloser Schrecken, der sie zum Untergang verdammt hat oder die Überbleibsel eines vergessenen Gottes, der dort neues Zuhause gefunden hat und darauf wartet, bis die Zeit gekommen ist, wiederzukehren.
Die verlassenen Gerippe gekenterter Schiffe verteilen sich auf dem Meeresboden und bergen die Geister all jener, die sie mit sich in die Tiefe gerissen haben. Es sind tragische Geschichten, die sie in sich tragen. Der Nachhall des verlorenen Lebens mischt eine Spur von Melancholie in die belebte Welt unter den Wellen.
Doch nicht jeder dieser Orte ist leer. In manchen Ruinen blüht neues Leben, nicht wenige von ihnen sind von Wesen besiedelt, die diesen Raum zu ihrem eigenen erkoren und sich in den alten Bauwerken und Schiffen eine neue Heimat geschaffen haben.
Das Sternenmeer verdankt seinen Namen der nur in diesen Gewässern vorkommenden Sternkoralle. Dieses Gewächs wird von kleinen, tropfenartigen Gebilden übersät, die einen hellen Lichtschein ausströmen, der aus der Ferne an einen Sternenhimmel erinnert.
Eine flüchtige Berührung reicht aus, um die kleinen Tropfen emporschießen zu lassen. Dieses Phänomen wirkt wie ein Sternregen, bei dem die Geschosse eine solche Geschwindigkeit entwickeln, dass man ihr Funkeln noch an der Wasseroberfläche erkennen kann. Es muss nicht erwähnt werden, dass eine Kollision damit recht schmerzhaft ausgehen kann.
Die steinartigen Auswüchse der Sternkoralle sind als Schmucksteine überaus beliebt. Wer einen Sternenregen im Ozean erblickt, soll im folgenden Jahr glückliche Zeiten erleben. Es ist kein großes Wunder, dass auch das Tragen eines solchen Steins Glück verheißt.
Doch auch über die Sternkoralle hinaus gibt es erstaunliche Dinge zu sehen. Eine bezaubernde Pflanzenwelt in leuchtenden Farben und bizarren Formen ziert das Sternenmeer, bietet den bunt gefärbten Fischen und der Tierwelt ein schützendes Heim.
Herden der scheuen Meerpferde sorgen für überraschende Begegnungen und können beim Grasen beobachtet werden. Diese anmutigen Tiere, die den Oberkörper eines Pferdes und den Unterleib eines Fischs besitzen, sind bei den Völkern des Meeres als Reittiere beliebt, wenn es gelingt, sie zu zähmen. Besonders die Meereselfen züchten die starken Rösser mit der schimmernden Schuppenhaut und sind bemüht, damit ihre besten Eigenschaften zum Vorschein zu bringen.
Furchterregende und zugleich majestätische Haie gehen im Sternenmeer auf die Jagd, sind stets eine Gefahr für die Unvorsichtigen, die ihren Weg kreuzen. Doch nur selten nähern sie sich den großen Städten der Meeresvölker, deren exotisch anmutende Bauwerke schon weithin zu erkennen sind, sich an Erhöhungen schmiegen und von dort aus zu Boden fließen. Faszinierende Gärten von fremdartiger Schönheit breiten sich zwischen Türmen, Gebäuden und Höhlen aus und laden zum Verweilen und Staunen ein. Wo auf der Welt über den Wellen Vögel die Lüfte erobern, sind es hier Schwärme kleiner Fische, die ohne Scheu durch Städte und Siedlungen flitzen.
Es gibt keine Straßen, keine Grenzen in diesem schwerelosen Raum, der beinahe unendlich wirkt.
Doch die Idylle trügt. Ein ewiger Krieg stört den Frieden auf dem Meeresboden. Die machthungrigen Yassalar dürsten danach, das Meer zu beherrschen. Sie sind eine ständige Bedrohung für die anderen Völker des Meeres. Manchmal durch subtile Intrigen, manchmal in offenen Kämpfen, die in große Schlachten münden, bei denen mächtige Heere aufeinandertreffen, um das Meer mit ihrer wilden Kraft zu erschüttern.
Das Meer ist riesig und in weiten Teilen unerforscht. Niemand weiß zu sagen, was alles auf seinem Grund existieren mag. Kreaturen, die niemand zu Gesicht bekommen hat, unbekannte Völker aus der Ferne, die vielleicht eines Tages in das Sternenmeer eindringen und sogar die Yassalar das Fürchten lehren. Reiche, von denen niemand jemals gehört hat. Die Möglichkeiten sind so endlos wie die Meere, die die Oberwelt Niel’Anors umgeben.